Da saß ich nun, die Hände meines Vaters in den meinen. Er saß seit Wochen nur noch auf diesem Platz, am rechten Rand der Couch, das Kleine Kissen auf dem Schoß, klein, zart und zerbrechlich. Oder er lag in seinem Bett.
Heute hatten wir beide Tränen in den Augen. „Papa, es wird nicht mehr gut, bitte höre auf, dich an dieser Hoffnung festzuhalten, selbst die Ärzte haben aufgegeben.“
Für mich als Sterbebegleiterin und alternative Bestatterin waren die letzten 2 Jahre der schmerzhafteste Weg meines Lebens. Ich musste hilflos und ohnmächtig mit ansehen, wie mein Vater – im Widerstand mit der Wirklichkeit – gegen den Tod kämpfte, obwohl wir alle wussten, dass es dem Ende zuging, keine weiteren Chemotherapien irgend etwas verhindern würden. Im Gegenteil, die Spuren der Nebenwirkungen schwächten und quälten seinen Körper und auch seine Psyche mehr und mehr.
Meine Mutter hilflos und erschöpft von den Botengängen von einem Arzt zum anderen – sah es schon lange. Sie brachte es nicht übers Herz mit ihrem Mann, mit dem sie 60 Jahre gemeinsam durch die Höhen und Tiefen des Lebens gegangen war, ehrlich darüber zu sprechen. „Das bringt ihn um“, war ihr Gedanke. Wir saßen damals im Sommer 2023 in diesem kleinen Cafe, mitten in Berlin und sprachen das erste mal offen über alles, was kommen wird. „Mama, du kannst niemanden umbringen mit der Wahrheit“. „Soll ich es ihm sagen?“
…
Da saßen wir nun nebeneinander. Mein Vater, ein Häufchen Elend, eigentlich nur noch ein zwanghaft am Leben gehaltener Körper, schwer atmend, voller Angst. Ich, seine Tochter und Bestatterin. Die letzten Besuche bei ihm waren gefüllt von schweigendem Miteinander, in dem wir uns näher waren als all in all den Jahren, in denen ich meinen Vater nur strebsam erlebt hatte. Er kam von der Arbeit, zog seine alte Arbeitshose über und kümmerte sich um das, was es im Garten oder am Haus zu tun gab. Wie oft war ich ihm hinterher gegangen, immer in der Hoffnung, irgendwie ein Wort von ihm zu erhaschen, oder ein Streicheln über meinen blonden Kinder-Schopf. Erst später, in der eigenen inneren Arbeit – auf dem Weg des wirklich Erwachsen-werden – da wurde mir klar, wie unsicher ich war, ob mein Vater mich liebte.
In Corona, 2020, mein Vater war wieder einmal im Krankenhaus, da wagte ich mit 49 Jahren diese Frage: „ Papa, hast du mich lieb?“ Meinem Vater standen die Tränen in den Augen und das erste mal in seinem Leben weinte er bitterlich. Da brach ein Damm in seinem Herzen, das er seit seiner eigenen Kindheit fest verschlossen hatte, damit ihn niemand mehr so weh tun würde wie damals, als er 4 Jahre alt war. Eine neue Weichheit kam in sein und unser aller Leben. Irgendwie konnten wir plötzlich anders miteinander schweigsam sein.
„Papa, es wird nicht mehr gut, aber ich kann dir versprechen, das es nicht schlimm ist, nach dem Tod. Schau, ich habe schon so oft Menschen begleitet. Weißt du warum die meisten Menschen ein Lächeln im Gesicht haben oder mit offenen Augen und staunendem Mund ihren letzten Atemzug nehmen? Weil es etwas danach gibt, was sie sehen und was gut ist, was wir uns vielleicht nur nicht vorstellen können. Warum glaubst du eigentlich, dass es schrecklich wird? Du kannst es ja nicht wissen, es könnte also auch ebenso gut sein“ „Danke“ sagte da mein Vater.
„Soll ich morgen wiederkommen?“ fragte ich ihn. „Ja“ sagte er sehr bestimmt. So hatte ich ihn lange nicht sprechen hören. Da wusste ich, dass es bald soweit sein würde. Ich fuhr nach Hause, versorgte meine jugendlichen Kinder mit dem Notwendigen, packte eine Tasche für 5 Tage und fuhr zurück.
„Nur gut, das wir den Palliativ-Dienst haben“ sagte meine Mutter, „Papa wollte immer Zuhause sterben“. Ja, das war ein Glück, denn nun konnten wir ganz auf seine Bedürfnisse eingehen, die frische Luft reinlassen, wann es gut für ihn war und die Nächte neben ihm wachen, ihn begleiten.
Intuitiv hatte ich, bevor ich mich für die kommenden Tage auf den Weg machte, das „Tibetische Buch vom Leben und Sterben“ aufgeschlagen und das genau an der Stelle, wo die letzte Phase des Sterbeprozesses beschrieben wird. So konnte ich meiner Mutter daraus vorlesen und sie sich besser auf die Symptome einlassen, die sich vermutlich zeigen würden; das Rasseln des Atems, Unruhe, Angst, manchmal ausgedrückt durch Schreie… Es ist immer gut hinzuschauen und sich vorzubereiten, so kann unser Herz offen bleiben und wir uns in Liebe statt in Angst einlassen auf das, was das Leben bringt. Das ist immer hilfreich.
Nachts schlief ich bei meiner Mutter im Zimmer, mein Vater schwer atmend, nebenan. Manchmal wachte er auf, rief nach uns. Dann ging Eine hinüber, benetzte seine Lippen mit frischem Wasser, streichelte ihm die Wange oder war einfach nur da. Irgendwann schlief er wieder ein…
Der 1. Morgen unserer gemeinsamen Zeit begann damit, dass mein Vater nichts mehr aß. „ Iss doch etwas, du musst doch was essen“ bat meine Mutter ihn inständig, gefangen zwischen dem einverstanden sein, dass er nun sterben würde und der Angst, ihn loslassen zu müssen. Ich schaute sie liebevoll an: „Lass nur Mama, Papa weiß gut, was jetzt richtig ist.“ Das war für meine Mutter, die in der Beziehung der beiden immer die Federführung hatte, schwer zu nehmen. Ich spürte ihren Zorn auf ihre eigene Ohnmacht.
Papa setzte sich wieder auf seinen Platz. „Was ist jetzt zu tun?“ fragte ich mich innerlich. „Nichts“ kam als Antwort. „sei da. Warte und spüre. Immer wieder neu von Moment zu Moment.“
Tags ging ich ein wenig spazieren, um mich zu sammeln. Wie werde ich mit dem Tod meines eigenen Vaters umgehen? Kann ich ihn wirklich bestatten, so wie ich es beschlossen hatte? Würde mich meine Trauer überrollen oder unfähig machen, zu handeln? Ich konnte mir diese Fragen letztlich nicht beantworten, sondern mich selbst immer wieder nur erinnern, in der Gegenwart zu bleiben und anzuerkennen, dass ich die Zukunft, und die, die ich in dieser neuen Situation sein würde, nicht kenne. Auch wenn ich so viele Menschen an dieser Schwelle schon begleitet hatte: es ist immer wieder neu und nicht vorhersehbar.
Die 2. Nacht wurde unruhiger. Mein Vater atmete schwer und mir schien, dass er sehr mit seinen Ängsten beschäftigt war. Dann saß ich an seinem Bett, hielt seine Hand, sprach mit ihm oder ging in die Stille. Hier konnte ich viel sensitiver wahrnehmen, wo er sich befand. Aus meinen anderen Erfahrungen war immer spürbar gewesen, das Menschen im Sterben mit einem Bein auf der einen und mit dem anderen Bein hier in dieser Realität unterwegs sind. Wichtig war, jetzt nichts zu wollen und nur zu schauen, was ist.
Ab dem 3. Morgen blieb mein Vater im Bett. Er schlief lange, gefolgt von Wachphasen mit schepperndem Atem und starker Unruhe. Das hörte sich für Begleiter sehr leidvoll an, doch wenn man hinspürt bemerkt man, dass das Ich bereits mehr und mehr in den Seelenraum strömt oder auch mit Themen des Unterbewusstseins beschäftigt ist, die an die Oberfläche kommen, weil die Kontrollinstanz nicht mehr die Kraft hat, die Schleusen geschlossen zu halten. Der Körper mit seinen Symptomen hat nicht mehr die primäre Aufmerksamkeit.
In der 3. Nacht schliefen wir kaum. Mein Vater wollte ständig aufstehen und wie er sagte „arbeiten gehen“. Das war etwas, was sein Leben stark geprägt hatte. Wir beschlossen das Gitter seines Pflegebettes zu schließen, damit er, so schwach wie er inzwischen war, nicht aus dem Bett fallen konnte. Wenn er aufstehen wollte, boten wir ihm unsere Hilfe an. Mich rührte es zu Tränen, wie er auch jetzt noch so sehr darauf bedacht war, alles selbst zu schaffen und seine fast schon pathologische zwanghafte Reinlichkeit auch jetzt präsent war. Ich wünschte, er hätte einmal sich gehen lassen können, er selbst sein können. Doch seine Muster hatten ihn im Griff und nicht er sie.
Die Kinder riefen so wie jeden Tag auch an diesem 4. Morgen an und fragten nach ihrem geliebten Großvater. Nein, sie wollten nicht vorbei kommen. Es war für die beiden nicht leicht, innerhalb der letzten acht Monaten drei Großeltern zu verabschieden. Das konnte ich gut verstehen. So blieben wir über die Ferne nah miteinander. Außerdem hatten sie die Tage zuvor noch einmal mit ihrem Opa Käsekuchen mit Sahne gegessen. Er hat es genossen, neben seinem geliebten Enkelsohn zu sitzen, der ihm so ähnelte. Es tat ihm gut, Max zu ermutigen, weiter Gitarre zu spielen, zum Kendo zu gehen und lebendig zu sein. Jedes mal wenn mein Vater Max so nahe kam, fühlte ich Trauer in mir. Mein Vater, der sich selbst nie gelebt hatte. Sein großer Traum, mit der transsibirischen Eisenbahn zu fahren – er hatte es nicht gewagt, weil meine Mutter nicht wollte und irgendwann war es dann zu spät.
„Lebe ich wirklich?“ – kam auch in mir die große Frage auf…
Meine Mutter wurde über die kommenden Stunden unruhiger und die Spannung zwischen uns stieg. Sie war immer mehr in Sorge, dass ihr Mann nun bald sterben würde, auch wenn sie ihm wünschte, das sein Leiden endlich enden möge. Ich immer einverstandener mit seinem Zustand, in der Hoffnung, das sein Leiden bald enden darf fühlte mich hin und her gerissen zwischen der Begleitung meines Vaters und dem Beruhigen meiner Mutter. Wer braucht jetzt eigentlich die meiste Unterstützung? Es machte mich wütend zu sehen, wie sie versuchte, ihn zu schützen, ihm in den letzten Tagen oder Stunden wieder die Selbstbestimmung nahm, weil sie glaubte, sie wüsste besser, was er brauchte. Zugleich konnte ich das verstehen und nachfühlen: wie wäre es für mich, wenn ich sie wäre? Wenn ich jetzt mit ihr diskutierte, würde das meinen Vater aufregen. Andererseits kam mein Vater mit ihren Regulierungen an seine Grenzen und seine Verzweiflung stieg für mich merklich an. Ein Spiel, was beide ihr Leben lang gespielt hatten.
Es waren schwierige Momente.
Die Nacht kam. Obwohl ich die letzten Tage so wenig Schlaf gefunden hatte, war ich hellwach und präsent. Papas körperliche Schwäche war zunehmend an seinen wackeligen Beinen zu erkennen, dennoch wollte er aufrecht und allein zur Toilette, dabei nicht angefasst werden. Zugleich war sein Geist hellwach und präsent. Er hörte alles, was wir sprachen, fragte sogar nach. Das berührte mich sehr und zeigte mir auch, dass er den Weg anzeigte und was jetzt zu tun ist. Einmal im Leben sollte er selbst entscheiden und nicht meine Mutter in ihrer Angst und Sorge um andere…
Die Nacht begleitete uns in stiller Dunkelheit. Das offene Fenster, die schmale Mondsichel am Himmelszeit schenkte Vertrauen und das Gefühl von Aufgehoben-sein in etwas, dass größer ist als wir. Die Gardinen wehten sanft hin und her, als würde sie uns die zwei Seiten der Wirklichkeit offenbaren. Papa klammerte sich an meine Hand. „Wir sind da, du musst es nicht alleine machen“, zärtlich strich ich über seinen Kopf.
„Bitte auf Toilette“ zitterte seine Stimme. Wir halfen ihm langsam auf. Auf dem Weg der schier unendlich schien und obwohl es nur ein knapper Meter war, sank mein Vater in sich zusammen, sanft in unsere Arme.
Dann hielt die Welt an.
„Papa“, du bist jetzt gestorben“, sprach ich leise.
Durch meine Begleitungen Sterbender wusste ich, dass Menschen, die nicht an ein Leben nach dem Tod glauben, und das ist ja auch ein Glaube, oft Schwierigkeiten haben, sich nach dem Tod in der Wirklichkeit zurecht zu finden. Sie sind ja noch mit dem physischen Leib verbunden, den sie allmählich über die Stunden loslassen müssen und sie wissen dann oft nicht, wo es weiter geht. Es ist gut, ihnen über die Schwingung orientierender Worte so etwas wie Halt zu geben oder auch um Unterstützung aus der geistigen Welt dafür zu bitten. Das Aufbahren eines Verstorbenen für drei Tage, so wie es die Menschen früher ganz selbstverständlich taten, ist kein Aberglaube, sondern ein uraltes Wissen, dass es diese Zeit braucht für die Zeit des Übergangs.
Als der Arzt, Gott sei Dank, eine Stunde später schon da war, um den Tod meines Vaters festzustellen, legten wir ihn gemeinsam sanft auf sein Bett. Wir weinten beide lange, meine Mutter und ich. Die Tulpen, die ich ihm die Tage zuvor mitgebrachte hatte, legten wir um seinen warmen Körper. Eine Kerze brannte von da 36 Stunden an seinem Bett. Irgendwann in den Morgenstunden schliefen wir beide im Zimmer nebenan ein, meine Mutter hielt sich an meiner Hand fest.
In den kommenden Stunden wechselten wir uns am Totenbett ab. Meine Mutter war froh, dass sie meinen Vater noch nicht hergeben musste, sondern Zeit zum Abschiednehmen hatte und um sich an die neue Situation zu gewöhnen. Es war schön zu sehen, wie sie ihr Herz für den toten Leib immer mehr öffnete und es half ihr, dass ich an ihrer Seite war.
Wir wuschen liebevoll Papas von Angstschweiß benetzten und inzwischen erkalteten Leib, so wie er es sich gewünscht hatte. Zärtlich strichen wir über seine mageren Arme und Beine, die ein Leben lang so viel Kraft hatten, ein ganzes Haus zu bauen. Seine offenen Augen fielen mehr und mehr in ihre Höhlen zurück, so wie es geschieht, wenn der Körper nicht mehr mit der Energie des Universums versorgt wird. „Atmet er noch?“ fragte meine Mutter. „Nein Mama, das wirkt so, weil seine Seele noch nah hier bei uns ist, das ist es, was du wahrnimmst.“
Der Körper meines Vaters war fest von der Totenstarre. „Das bleibt die nächsten Stunden, bis sich alles lösen wird.“ Meine Mutter nickte. Wir zogen ihm sein Nachthemd aus. Dann hüllten wir ihn in ein weißes Leinentuch, Kopf und Hände frei. Meine Mutter wollte ihn nicht ankleiden. „So“ sagte sie, „sieht er sehr würdig aus.“ Ich legte ihm einen Bergkristall in die großen Hände. Meine Mutter schrieb einen Brief, den sie ihm unter das Kopfkissen legte.
Meiner Mutter empfahl ich, mit meinem Vater zu sprechen. „Sage ihm alles, was dir jetzt am Herzen liegt Mama“, ich nahm sie liebevoll in die Arme. „Bitte, kannst du jetzt für mich da sein?“ fragte sie mich wie ein kleines Mädchen, vielleicht 5 Jahre alt, das nicht wusste, was jetzt zu tun ist und Schutz brauchte. „Natürlich, so wie du immer für mich.“ Sie weinte lange. Ich war froh, dass der Damm aus angestauter Trauer, Erschöpfung und Hilflosigkeit, der sich in den letzten Monaten in ihr angesammelt hatte, und den sie immer verdrängt hatte, weil sie fest glaubt „stark ist man, wenn man nichts fühlt und hart mit sich ist“, endlich brach. Und endlich konnte sie mehr als 5 Stunden schlafen.
Ich ging in das Zimmer nebenan zurück. Für mich war es eine Gnade, meinen Vater auch in dieser Phase erleben und begleiten und wahrnehmen zu dürfen, was in feinster Energie geschah. Wieder kam es mir in den Sinn: Der Tod ist die Liebe.
Da war meine Trauer und da war ein stilles, sicheres Atmen in mir, das alles gut ist, so wie es ist. Ich schloss die Augen und fühlte mich in den Raum um mich ein, der zugleich in mir war. Ich nahm Dunkelheit war, Unruhe und so etwas wie Verwirrung. Ich sprach mit meinem Vater. Ich fragte meine innere Stimme, was zu tun sein und lauschte. Wenig später rief meine Freundin I., selbst Sterbebegleiterin, an. Sie fragte, wie es uns ginge. „Lies ihm aus dem – Neuen Testament – von Emil Bock vor. Sie schickte mir einen Auszug per Mail. Da ich selbst keiner Religion angehöre, konnte ich zuerst einmal wenig mit dem Worten auf dem Papier anfangen. Aber ich las.
Ich las und las. Eine Stunde, vielleicht zwei, ich weiß es nicht mehr. Ich versank in die Worte des Matthäus-Evangeliums. Irgendwann spürte ich eine Veränderung im Raum um mich herum. Es fühlte sich hell an und leichter in meinem Herzen. Und dann spürte ich ganz stark die Anwesenheit meines Vaters. Er stand hinter seinem Bett und ich fühlte die Wort-Gedanken: „Warum habe ich mir das alles angetan?“ Auch jetzt in diesen Momenten, wenn ich diese Erinnerungen teile, steigt in mir Trauer. Wie sehr hatte ich meinem Vater zu Lebzeiten gewünscht, aufzuhören, sich so zu quälen. Gefangen in seinen Vorstellungen, konnte er nicht anders. Ich musste einsehen, das ein 80-jähriger Mann, der niemals in Erwägung gezogen hatte, sich seiner Lebensgeschichte zuzuwenden, um die Traumata seiner Kindheit anzuschauen, nicht aus diesen Mustern aussteigen konnte.
Erneut sehe ich mich mit ihm – die letzten Tage vor dem Eintreffen des Todes – auf der Couch sitzen. Seine Hand in meiner. Schweigend. Das er damals so deutlich „JA“ gesagt hatte auf meine Frage, ob ich bleibe solle, das war – wenn auch am Ende – ein heilsamer Schritt der Öffnung dem Leben gegenüber und vielleicht der Beginn einer neuen Zeit für ihn, die er mit auf die andere Seite tragen konnte.
…
Irgendwann kamen meine Kollegen mit dem Überführungsfahrzeug und dem schönen Kiefersarg. Gemeinsam mit meiner Mutter betteten wir den toten Leib meines Vaters in seine letzte irdische Hülle. Ich fuhr, Tränen in den Augen und doch froh, dass mein Vater jetzt nicht mehr leiden muss, hinter dem Auto her, ins Krematorium, in die Kühlung.
Nein, die Kinder wollten ihren Opa nicht noch einmal sehen. Ich konnte das gut verstehen, denn sie hatten Oma und Opa aus Hamburg zuvor bis zum letzten Atemzug begleitet.
Eine Woche später trafen wir uns alle im Krematorium. Die Kinder bemalten mit meiner Mutter den Sarg und wir schmückten mit bunten Blumen den Deckel. Wir sprachen nicht viel, es war alles gesagt und es passte irgendwie auch gut zu meinem stillen Vater. „Als ich fortging“ von Karussell – Max spielte es ein letztes mal für Opa auf der Gitarre. Er mochte das Lied immer sehr. Weinend gingen wir hinter dem Sarg hinterher, bis zum Feuerportal. Dann öffnete sich das Tor. Der Sarg wurde langsam von den warmen, rot glühenden Schamottsteinen des Innenraumes in Empfang genommen.
Still standen wir mit den brennenden Teelichtern in den Händen da. Meinen Vater in unseren Herzen. So wie immer.
…
Die Reise miteinander geht weiter. Ich bedaure manchmal, dass meine Kinder und meine Mutter nicht Ähnliches erleben können wie ich. Ich spüre meinen Vater, nicht immer, aber besonders wenn ich mich ihm zuwende im Seelenraum, in dem wir alle miteinander über den Tod und jede scheinbare Entfernung hinaus verbunden sind.
Ich bin dankbar, diese Arbeit tun zu dürfen. Ich war nicht sicher, ob ich es schaffen würde, meinen eigenen Vater zu bestatten. Ich hatte es ja nie zuvor üben können.
„Papa, Danke, das ich das tun durfte. Ich hab dich lieb.“